Führungstil

Es ist brütend heiß, die Hitzewelle leerte die Flüsse und ich selbst wünsche mich bewegungslos in den Schatten, ein kühles Gewässer in der Nähe. Mein Kunde ruft an, gestern war er auf dem Vorstellungsgespräch gewesen.

Auf dieses Vorstellungsgespräch hatte er sich, wie nie vorher in seinem Leben vorbereitet. Das Unternehmen war ein Traum. Die Stelle genau die Mischung aus Mitarbeiterführung und hands on, die er sucht. Um dabei Unterstützung zu haben, hatte er meine Dienste in Anspruch genommen. Es wurde ein Gruppenleiter gesucht, mit Führungserfahrung. Die Firma war seit 10 Jahren erfolgreich und hatte einen Firmengründer mit einem höchst interessanten Leben, was möglicherweise für die Firmenkultur sprach. In der Anzeige wurde der Führungsstil mehrfach betont, so dass sich auch hier hoffen ließ, dass einiges anders laufen würde, als er und ich das aus vielen anderen Unternehmen kennen.

Ich freue mich, dass er anruft, und frage, wie es gelaufen ist. „Wissen Sie,“ sagt er, „ich hätte schon gleich gehen sollen.“ Er macht eine Pause und ich bin über die Aussage etwas schockiert: das nach der ganzen Arbeit und bei der Hitze.

„Die haben mich doch tatsächlich eine Viertelstunde warten lassen. Und dann hat die Personaltante auch noch gesagt, dass sie keine Zeit hätte, weil sie gleich wieder weg musste. Aber Sie wissen ja, ich war so interessiert an dem Unternehmen, also habe ich mir das Gespräch doch gegeben. Jedenfalls stellte sich dann heraus, dass dieses Unternehmen eigentlich eine Art Stellvertreter für den Abteilungsleiter, mit ca. 30 Mitarbeiter_innen, sucht. Sie wissen schon, einer der den Titel nicht hat aber den Job macht. Der Abteilungsleiter wolle sich entlasten. Außerdem wären häufig Reisen notwendig und noch ein paar Dinge, dass ich mich gefragt habe, was die Aufgaben des Abteilungsleiters dann wären. Die ganze Zeit während des Gesprächs schaut die Personaltante auf die Uhr. Und als der Abteilungsleiter sie fragte, ob er das Gespräch nicht ohne sie weiter machen soll, winkt sie immer wieder ab. Schließlich habe ich dann nach dem Führungsstil des Abteilungsleiters gefragt. „Sie werden es nicht glauben“, sagt er, „was ich da als Antwort bekommen habe. Erst grinst die Personalfrau in sich rein und dann holt der Abteilungsleiter nach einer Pause einmal tief Luft und sagt, er führe aus dem Bauch heraus. Jedenfalls“, sagt mein Kunde schließlich, „hatte die Stelle nicht viel mit dem zu tun, was in der Anzeige stand. Ehrlich, ich ärgere mich, dass ich nicht gleich gegangen bin.“

Einige Wochen später klingelt das Telefon. Mein Kunde ist dran. „Wissen Sie was“, sagt er mit einer leichten Schadenfreude in der Stimme, „dieses Unternehmen mit dem Bauchführungsstil, die suchen immer noch. Ich habe da Unterlagen von einem Personalvermittler bekommen, die waren zwar anonymisiert aber ich wusste gleich, dass die das sind. Die scheinen schon seit weit über einem Jahr zu suchen. Scheint, wie ich es raushören konnte, auch nicht der einzige Personalvermittler zu sein, der für das Unternehmen sucht. Wundert Sie das?“ „Nein“, antworte ich, „das wundert mich überhaupt nicht.“

10 Jahre aus dem Beruf

Nicht nur, dass sie seit über 10 Jahren etwas anderes gemacht habe, habe sie den Abschluss auch noch im Ausland erworben. Er sei hier aber voll anerkannt. Eine Bekannte habe ihr von diesem Krankenhaus erzählt und dass dort nach Personal gesucht werde. Das Krankenhaus lege Wert auf alternative Unterstützung von Patienten. Beispielsweise würden bei Schmerzen in der Nacht nicht immer gleich Schmerzmittel gegeben werden, sondern mit aromatischen Salben gearbeitet werden. Das entspräche ihren Vorstellungen, wenn sie jetzt schon in ihren alten Beruf zurückkehrt.

Besondere Sorge bereitet ihr die lange Abwesenheit vom Beruf, obwohl ihre Bekannte ihr schon gesagt habe, dass alle erst einmal gründlich eingearbeitet werden. Auch ist es ihr wichtig, deutlich zu machen, dass die Standeskriterien der Standesorganisation für ihren Beruf in ihrem Ausbildungsland, ihr besonders wichtig sind. Würde des Menschen, Achtung und Hingabe. Okay, ich denke mir, das ist sehr gut, wenn das zu dem Krankenhaus passt, kriegen wir das hin.

Das Anschreiben geht ein paarmal Hin und Her. Schließlich sehr dort neben anderen:

„(…). In meiner Ausbildung und während meiner Arbeit wurde großen Wert darauf gelegt, die Patienten nicht nur medizinisch fachgerecht und optimal zu pflegen, sondern auch psychologische und emotionale Aspekte in die individuelle Pflegeplanung und -ausführung mit einzubeziehen und zu jeder Zeit die Würde des Menschen zu achten.
(…)
Die von einer qualifizierten Fachkraft geforderten pflegerischen und medizinischen Aspekte dieser Tätigkeit möchte ich gerne in einem Wiedereinführungsprogramm oder einem Praktikum auffrischen, und suche deswegen eine Stelle, bei der dies möglich ist. (…)“

Die Arbeit an den Unterlagen war im höchsten Maße kooperativ gewesen und hat nicht nur meine Kundin zufriedengestellt, sondern auch mich. Eine Woche später hatte sie die Einladung zum Vorstellungsgespräch und zwei Monate später, fing sie in dem Krankenhaus an zu arbeiten.

Lachen

Die Gruppe hat gerade die richtige Größe. Alles „langzeitarbeitslose Jugendliche ohne Berufsausbildung“, wie die Behörden diese höchst unterschiedlichen jungen Menschen kategorisieren. Alle sind etwas nervös und giggeln herum. Aber sie machen mit, so gut sie es hinkriegen. Meine Arbeit hat ihre Erwartungshaltungen unterlaufen, sodass sie sich gegen diese ungewohnte und für sie befremdliche Situation nicht zur Wehr setzen. Sie machen die Augen zu, entspannen sich, auch wenn hin und wieder ein Kichern sich Bahn bricht. Dann machen sie die Augen auf und gucken nach mir. Als ich ihnen signalisiere, dass alles Okay ist, schließen sie die Augen wieder. Sie reisen in ihrer Vorstellung in die Zukunft und wieder zurück und jetzt malen sie, was sie gesehen haben.

Eine junge Frau sitzt da und sagt immer wieder: „Ich weiß nix, ich hab nix gesehen“.Ihr Bild enthält ein Haus, eine Strichmännchenfamilie und einen Hund, von dem sie sagt, dass er wie eine Kuh aussieht, und muss darüber lachen. Sie ist ein patenter Typ, schlagfertig und lustig. Ich frage sie, was ihr Spaß macht, was sie gerne tut. Sie sagt: Putzen, bügeln, einkaufen, Wäsche waschen. Ich frage noch eine Weile weiter, sichere die Aussagen ab. Dann überlege ich einen Moment und frage sie: „Ob sie wüsste, dass Hauswirtschaft ein Ausbildungsberuf ist?“ Sie starrt mich an und fragt nach, was dieser Beruf enthält. Ich erkläre es ihr in groben Zügen. Sie sagt: „Nicht einmal in den 3 Jahren, seit sie aus der Schule raus ist, hätte man ihr von diesem Beruf erzählt.“ Ich habe Bilder von ihr im Kopf. Sie ist etwas älter, mit einem großen Schlüsselbund in der Hand, wie sie eine Gruppe Kids zur Räson bringt. Ich erzähle ihr von diesem Bild. Ihre Augen fangen an zu leuchten und dann fängt sie an zu lachen. Die Gruppe lacht mit ihr. Es ist ein gutes Lachen.

Berufliches Coaching

Ich stehe draußen und genieße die herbstliche Sonne, während ich auf den nächsten Teilnehmer warte. Dann steht ein ganz junger Mann vor mir. Das Gesicht noch weich und verletzlich. Er sagt,“Guten Tag“ dann guckt er unsicher. Ich frage ihn, was ich für ihn tun kann. Der erstaunliche Junge gibt sich einen Ruck und sagt: „Ich will ein berufliches Coaching.“ Er ist ganz ernst und ich bin es auch. „Okay“ sage ich, „lass uns reingehen und reden“. Drinnen angekommen frage ich ihn, wie er auf mich gekommen sei. Er hat von einer Klassenkameradin gehört, dass man hier gutes und kostenloses Bewerbungstraining kriegen kann und das ich auch andere Sachen machen würde. Er erzählt mir später, dass seine Eltern beide arbeitslos sind und von ALGII-Leistungen leben. Er mache im nächsten Jahr seinen Hauptschulabschluss und möchte eine gute Ausbildung. Er ist ernsthaft und sich darüber im Klaren, dass er ein anderes Leben möchte. Ich bin beeindruckt. Als ich ihn frage, was er gern machen möchte, sagt er: „Industriemechaniker“. Ich frage ihn, wie er auf diesen Beruf gekommen sei. „Ja“, sagt er, „das habe ihm die Frau im Berufsinformationszentrum vorgeschlagen“. Ich frage nach, wie die Frau darauf gekommen sei. Er zuckt mit den Schultern, wüsste er auch nicht. Ich frage, ob Tests mit ihm gemacht worden wären, er verneint. Ich frage, ob man ihm erklärt habe, worum es in dem Beruf gehe? Nein, sagt er,auch das nicht. Unterlagen? Nein, die habe er auch nicht bekommen. Warum frage ich eigentlich, denke ich mir.